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Bei Flexitex im mittelsächsischen Kunnersdorf, einem idyllischen Ortsteil von Augustusburg, sind mehrere Konfektionäre Tag für Tag damit beschäftigt, genau zu messen, zu schneidern und Anzüge so anzupassen, dass bei jeder Bewegung alles perfekt sitzt. Getragen werden die Maßanzüge nicht von Menschen, sondern von Robotern. „Wir entwickeln, fertigen, montieren und vertreiben Schutzhüllen für Industrieroboter“, erklärt Claudia Ebert, Leiterin für Vertrieb und Marketing im inhabergeführten Familienunternehmen. Von kleinen Lackierpistolen über Schweißzangen bis hin zu riesigen Kippgießmaschinen, die bis zu zehn Meter breit sein können – die Maßschneider von Flexitex schneidern Industrierobotern Schutzanzüge auf den Leib und treffen damit einen Trend: „Immer mehr Unternehmen erkennen, dass sich ihre wertvollen Investitionen dadurch wirkungsvoll schützen lassen und sich die Kosten der Schutzhülle schnell amortisieren.“

Frauen mit dem richtigen Gespür

Die Idee zur Fertigung von Roboterschutzhüllen hatte Carmen Uhlmann, Claudia Eberts Mutter, im Jahr 2002. Die Textilexpertin, die ursprünglich aus der Strumpfindustrie kam, hatte das Unternehmen für technische Textilien 1999 gegründet und in die alten Gemäuer einer alten Wattefabrik integriert. „Kleine Mengen und Spezialanwendungen sind die Nische, in der man sich in Deutschland behaupten kann“, wurde ihr damals klar. Bis heute ist die 66-Jährige der strategische Kopf des Unternehmens. „Meine Mutter kann Zukunftsmusik hören“, sagt ihre Tochter Claudia Ebert mit lachendem Blick zur Seite. Carmen Ebert stimmt zu: „Man muss in Gedanken immer zehn Jahre voraussehen. Wie lange zum Beispiel wird in der Industrie noch geschmiedet werden? Welche Technologien werden an diese Stelle treten? Um das herauszufinden, lese ich sehr viel Zeitung. Es gehört eine Menge Gehirnschmalz dazu, Zukunftsszenarien zu entwickeln. Doch genau das macht mir Spaß – ich habe auch mit meinen 66 Jahren noch richtig Lust aufs Arbeiten!“ Der Austausch mit ihrer Tochter und das gemeinsame Lernen voneinander beflügelt die beiden Frauen zu immer neuen Visionen. „Hightech und Handwerk gehen bei uns Hand in Hand“, sagt Carmen Uhlmann. „Gefertigt wird bei uns fast ausschließlich in Handarbeit – Nähen auf Maß ist nun mal Handwerk.“ Dort, wo es möglich ist, hat natürlich auch die Digitalisierung im Unternehmen Einzug gehalten: Schnittmuster werden digital per CAD erstellt und archiviert, um die Reproduzierbarkeit zu sichern. Ein automatisches Zuschnittsystem unterstützt bei der Schnitterstellung. Doch die meiste Arbeit geschieht an der Nähmaschine.

Fachpersonal im Einsatz

Dazu braucht es hervorragendes Fachpersonal. „Die Frauen hier sind alles ausgebildete Fachkräfte: Bekleidungstechnikerinnen, Damen- und Herrenmaßschneiderinnen, gelernte Näherinnen, Industrienäherinnen. Diese Qualität ist heutzutage nur noch schwer zu bekommen.“

Ein gutes Betriebsklima wird bei Flexitex großgeschrieben – „nicht nur, weil wir hier fast alles Frauen sind“, wie Claudia Ebert lachend versichert. „Wir sind ein Familienunternehmen – das funktioniert nur mit offener Kommunikation.“ Als das Unternehmen kurz vor der Jahrtausendwende an den Start ging, fanden hier viele Frauen nach entbehrungsreichen Jahren wieder Arbeit. Heute haben sich die Prioritäten verschoben. Geregelte Arbeitszeiten, Work-Life-Balance, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind wichtige Werte, um Mitarbeiter zu gewinnen und zu binden. Auch der Arbeitsschutz und gute Arbeitsbedingungen liegen Claudia Ebert und Carmen Uhlmann am Herzen. So haben sie in ergonomische Arbeitsplätze und eine hochwertige Beleuchtung investiert, um den Näherinnen optimale Lichtverhältnisse zu bieten.

„Auch wenn wir hier fast nur Frauen sind – wir sind kein Strickclub“, sagt Carmen Uhlmann bestimmt. „Was wir hier machen, ist höchstes professionelles Niveau. Unsere Kunden sind Experten in hoch technischen Bereichen. Wir wissen genau, was wir tun – wir werden nach unserem technischen Know-how bewertet.“

Für jedes Werkzeug die richtige Hülle

Kommt ein Kunde mit einer Anfrage auf Flexitex zu, wird zunächst im Gespräch genau erörtert, um welchen Robotertyp es sich handelt, welche Tätigkeiten und Abläufe der Roboter beherrscht, bei welchen Temperaturen er eingesetzt wird, mit welchen Medien und Materialien er arbeitet. „Beim Schmieden von Kurbelwellen beispielsweise herrschen hohe Temperaturen und starke Verschmutzungen“, erläutert Claudia Ebert, „da nähen wir die Schutzanzüge aus hitzebeständigen technischen Geweben.“ In der Lackiererei hingegen sind absolute Staub- und Fusselfreiheit entscheidend für ein perfektes Lackergebnis. Feiner Lacknebel, der sogenannte Overspray, heftet sich jedoch am Roboter und seiner Umgebung an. Eine maßgefertigte Schutzhülle vermindert Verschmutzungen und daraus resultierende Qualitätseinbußen im Lackierprozess. Auch die Ausfallzeiten der Roboter werden deutlich minimiert. Bei Lackierrobotern werden die Schutzhüllen meist wöchentlich gewechselt, was dank des modularen Aufbaus schnell und kostengünstig erfolgen kann. Wichtig ist, dass nicht nur der Roboter, sondern auch alle Werkzeuge in die Schutzhülle integriert sind, ebenso wie Druckluftschläuche und Wasserzuführungen. Denn nur so kann ein umfassender Komplettschutz der wertvollen Anlagen gewährleistet werden. Schließlich sollen alle Achsen vor Flüssigkeiten, Temperauren und Verschmutzungen geschützt sein und kein Staubkorn, kein Schmutz, kein Lackpartikel an den Roboter herankommen.

Sind Einsatzbereich und Konfiguration des Roboters geklärt, erstellen die Bekleidungstechniker von Flexitex anhand der Daten des Roboterherstellers ein Muster. Zur Anpassung und Funktionsüberprüfung fahren die Damen- und Herrenmaßschneiderinnen von Flexitex zu den Unternehmen vor Ort, vermessen den Roboter bis ins kleinste Detail und passen das Muster an den Roboter und dessen Bewegungskurven an. „Es ist wie bei einem Maßanzug für einen Menschen“, erklärt Claudia Ebert. „Er muss perfekt sitzen und darf bei keiner Bewegung irgendwo kneifen.“ Der Roboter dreht sich, streckt sich, wendet sich und führt mit seinen Werkzeugen die unterschiedlichsten Abläufe aus. Absolute Bewegungsfreiheit in allen Achsen ist essenziell.

Wie bei einem echten Maßanzug fließen auch bei Roboterschutzhüllen oft individuelle Wünsche ein: besondere Designs, Schutzhüllen in der Firmenfarbe des Kunden oder mit einem Logo versehen. „Da jede Hülle bei uns individuell von Hand gefertigt wird, können wir auf alle Vorstellungen unserer Kunden eingehen“, unterstreicht Claudia Ebert.

Viele Kunden sind Stammkunden, kommen immer wieder. Flexitex beliefert Automobilhersteller und -zulieferer sowie Fertigungsbetriebe aus der Automatisierungstechnik oder dem Maschinenbau. „Die meisten unserer Kunden sitzen in den alten Bundesländern“, berichtet die Vertriebsleiterin. „Hier in der Region scheuen Unternehmen manchmal die Investition in eine Roboterschutzhülle – doch wir können ihnen versichern: Es lohnt sich. Die oft preisintensiven Industrieroboter halten deutlich länger, Ausfallzeiten werden spürbar reduziert. Auch die Reinigungs-, Wartungs- und Instandhaltungskosten der Roboter werden durch eine Schutzhülle gesenkt.“

Zukunft in der Nische

Für die Zukunft sieht sich Flexitex gut aufgestellt. „Wir bieten intelligenzintensive Produkte“, sagt Claudia Ebert. „Da gilt es, sich technisch weiterzuentwickeln – auch mit eigenen Innovationen.“ In ihrer Diplomarbeit untersuchte die Betriebswirtin das Potenzial für Roboterschutzhüllen in deutschen Industrieunternehmen. Ihr Fazit: „Es ist riesengroß. Wir müssen nicht alles global beschaffen. Nischenprodukte werden zunehmen und es wird auch hierzulande immer mehr Roboter in der Lebensmittel- und Outdoorbranche, in Reinräumen oder beim Schmieden geben.“ Dort herrschen noch höhere Anforderungen an die Schutzhüllen. „Durch den Einsatz beheizbarer Schutzhüllen beispielsweise können Roboter auch bei kalten Temperaturen im Freien arbeiten“, erklärt Claudia Ebert. „Hier entwickeln wir in Kooperation mit bundesweiten Partnern neue Lösungen für die Zukunft.“

Eine Frage begegnet Claudia Ebert bei ihrer Tätigkeit immer wieder: Nehmen uns Roboter denn nicht die Arbeit weg? Werden sie uns Menschen in Zukunft immer mehr ersetzen? Die Betriebswirtin widerspricht vehement: „Roboter übernehmen Arbeiten, die kein Mensch in so hoher Präzision oder so kurzer Zeit leisten kann. Auch das Umfeld spielt eine Rolle. Roboter kommen oft unter besonders unwirtlichen Bedingungen zum Einsatz: in der Hitze des Schmiedefeuers oder in Kühlhäusern, wo Früchte schockgefrostet werden. Dort hält es kein Mensch lange aus. Ein Roboter hingegen arbeitet drei Schichten rund um die Uhr, ohne zu frieren, zu schwitzen oder unter den Verschmutzungen zu leiden. Unsere Schutzhüllen leisten auch dazu einen Beitrag.“

Was sich ändert, ist die Art der Fachkräfte, die dafür gebraucht werden. „Der Trend geht klar zu Experten, die sich mit Robotern auskennen“, weiß Claudia Ebert. „An der TU Bergakademie Freiberg wurde vor kurzem der Studiengang Robotik ins Leben gerufen – ein guter und wichtiger Schritt.“ Auch in der Planung, Montage, Instandhaltung und Programmierung von Robotern gibt es Engpässe beim Personal. Hier sehen die Roboterexpertinnen von Flexitex ein großes Potenzial für die Zukunft, wo sich jungen Leuten sehr interessante Perspektiven bieten.

Branche:

Textilindustrie

Leistungen / Produkte:

Kundenindividuelle Entwicklung und Fertigung von Roboterschutzhüllen für Industrieroboter, kundenindividuelle Fertigung von textilen Schutzsystemen und technischen Textilien 

Anzahl Mitarbeiter:

23

Gründungsdatum:

1999

Besonderheit:

Die alte Fabrik, in der das Unternehmen ansässig ist, wurde Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet und zählt zu den ältesten sächsischen Wattefabriken.

Claudia Ebert zeigt einen kleinen Roboter
Die kleinsten Roboter, die bei Flexitex eine Schutzhülle bekommen, sind gerade mal kniehoch, andere sind übermannshoch und bewältigen Traglasten bis 1000 Kilo. Vertriebsleiterin Claudia Ebert zeigt an einem Modell, wie ein Roboterschutzanzug aussieht, sitzt und funktioniert.

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